ddp-lsa, 05.08.2004:
 

Tschiche sieht Parallelen zwischen Montagsdemos 1989 und 2004

Der Mitbegründer des Neuen Forums, Hans-Jochen Tschiche, sieht Parallelen zwischen den Montagsdemonstrationen von 1989 und gegen die Arbeitsmarktreform «Hartz IV» 2004.
 
Damals sei es um demokratische Freiheiten gegangen, heute um soziale Rechte, sagte Tschiche der Nachrichtenagentur ddp in Magdeburg. Freiheit und soziale Gerechtigkeit gehörten zusammen, fügte er hinzu.

Es gehe für die großen Unternehmen nur noch um die Frage, «wie viel Profit können wir machen». Die westliche Gesellschaft wie 1989 gebe es nicht mehr, sagte Tschiche. Die Arbeitnehmer müssten zunehmend Demütigungen hinnehmen, um ihre Arbeitsplätze zu behalten. Die Arbeitsmarktreform «Hartz IV» nannte er «unglaublich». Da müssten nicht nur Kinder ihre Sparkonten offen legen. Arbeitslose würden zu potenziellen Randalierern diffamiert, indem vor den Arbeitsagenturen Wachposten aufgestellt werden.

1989 sei die Zeit reif gewesen für die Montagsdemonstrationen, betonte Tschiche. «Ich bin mir nicht ganz sicher, ob jetzt die Zeit reif ist», betonte er. Deutschland sei insgesamt auf hohem Niveau verarmt. Die Gehälter der Habenden stiegen weiter an und diese predigten den Ärmeren, den Gürtel enger zu schnallen. Ein Teil der Gesellschaft werde ausgeschlossen ohne Zukunftsperspektiven zu haben. «Die Menschen sollen sich das nicht gefallen lassen». Es sei einfach lächerlich zu denken, dass bei rund 20 Prozent Arbeitslosigkeit die Menschen im Osten «zu blöd» seien, sich selber Arbeit zu suchen.

Die Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform seien eine Bürgerbewegung. Wie lange sie sich halte, sei schwierig einzuschätzen. Tschiche erinnerte daran, dass die Demonstrationen in der DDR nach rund einem Vierteljahr zu Ende waren. Die Protestmärsche für eine zivile Heide seien anfangs von 1000 unterstützt worden, jetzt träfen sich nur noch rund 50 Gegner der militärischen Nutzung einmal im Monat zum Friedensweg.

Tschiche ist der Auffassung, dass es in Deutschland eine gesamtdeutsche linke sozialistische Partei geben müsse, die für soziale Gerechtigkeit streite. «Wenn das so weiter geht», befürchtet der Ehrenvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt , «dass die Stunde der rechten Verführer gekommen ist.»

Am vergangenen Montag haben rund 6000 Sachsen-Anhalter in Magdeburg gegen die Arbeitsmarkreform «Hartz IV» protestiert. In Sachsen-Anhalt gibt es 120 490 Langzeitarbeitslose. Ihr Anteil an der Gesamtarbeitslosenzahl beträgt 45,2 Prozent.

(Tschiche war von 1990 bis 1998 Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag. 1994 übernahm er im Magdeburger Modell der PDS-tolerierten SPD-Minderheitsregierung eine Moderatorenrolle. Der 74-jährige widmet sich seit dem Ausscheiden der Grünen aus dem Landtag vor sechs Jahren der politischen Bildung und dem Kampf gegen Rechtsextremismus. Tschiche ist Vorsitzender des Vereins «Miteinander e.V. - Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt».)
Magdeburg (ddp-lsa)