POLIS - Report der Deutschen Vereinigung für politische Bildung, 2/2001

Wider der Rücksichtslosigkeit

Alle Welt redet in Deutschland davon, dass der Sozialstaat zu modernisieren sei. Die Absicherung der Lohnabhängigen müsse in der heutigen Zeit verändert werden. Weniger Fürsorge, mehr Eigenvorsorge seien notwendig. Die Demontage des Sozialstaates schreitet munter voran. Wer öffentlich widerspricht, gilt als unmodern und unflexibel. Er wird als Ewiggestriger denunziert, der die Bedingungen der Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft ignoriert.

Ich muss sagen, ich bin erzürnt, dass die Gesellschaftsverträge des Industriezeitalters, die ein hohes Maß an sozialer Absicherung im Alltag der Bürgerinnen und Bürger Gestalt werden ließen, als Sozialmüll von gestern verschrien werden, der den Anschluss an die weltweite Entwicklung verstopfen wird. Schauen wir genau hin, was passiert.

Die Rentenreform geht erste Schritte in die private Fürsorge. Das sei notwendig, heißt es, sonst würden die Rentenbeiträge unbezahlbar. Die Arbeit würde dann zu teuer werden. Eine zusätzliche Altersversorgung soll nur noch von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern getragen werden. Der Staat schießt zwar zu, aber Leute mit geringem Einkommen werden diese freiwillige Versicherung kaum aufbringen können und wollen. Damit ist die Altersarmut vorprogrammiert. Betriebe werden entlastet, die kleinen Leute werden zusätzlich belastet. Das Heer der Beamten wird an dieser Veränderung überhaupt nicht beteiligt. Der Staat zahlt Pensionen und sie zahlen keine Beiträge. Das kann doch nicht die Lösung einer reichen Gesellschaft sein.

Globalisierung verlang Flexibilität, ist ein Glaubenssatz der Neuerer. Im Klartext heißt das, dass die Wirtschaft den Rahmen vorgibt, in dem sich die Menschen einpassen müssen. Arbeitsnomaden sollen durch das Land ziehen. Bindungen an das soziale Umfeld und an die Heimat werden zweitrangig. Das Primat der Wirtschaft bestimmt die Gesellschaft. Die Würde des Menschen ist nicht mehr unantastbar. Jeder wird in die Zwänge effektiven Wirtschaftens gepresst. Der Profit kommt, die Menschenwürde geht.

Die Macht der Konzerne wird immer größer, der Einfluss der Gewerkschaften immer geringer. Züge vom Manchester-Kapitalismus begegnen uns auf Schritt und Tritt. Die Dienstleistungsgesellschaft wird zur Dienstbotengesellschaft. Billiglöhne werden den Leuten aufgezwungen.

Auch wenn die Rücksichtslosigkeit modern sein sollte, sollten wir sie nicht über uns herrschen lassen. Ich bleibe dabei, wer den Sozialstaat demontiert, zerstört die Menschenwürde der Schwachen.

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