Freitag, 22. Februar 2002

Vom Fossil zur Volkspartei?

Zur Genese der PDS Es ist Zeit, die ideologischen Scheuklappen abzulegen

Der Kalte Krieg wirkt in der Bundesrepublik Deutschland nach. Im Westen halten viele Leute die PDS für eine kommunistische Tarnorganisation, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet. Ihre Beteiligung an der Macht sei eine Katastrophe für die Demokratie. Im Osten beherrscht der ideologisch begründete Antiamerikanismus die Gemüter. Zu der rauhbeinigen Wildwestpolitik des amtierenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush gibt es sicher zu recht viele Bedenken. Wer zum Kreuzzug gegen das Böse aufruft, ist wie von Blindheit geschlagen und verkennt die Wirklichkeit in der Welt und im eigenen Land. Trotzdem ist die USA nicht der Hort des Bösen, wie es die Nationalsozialisten und die Kommunisten in Deutschland in trauter Einheit verkündigten. In den Vereinigten Staaten steht die Wiege der modernen Demokratie. Das hat die Amerikaner nicht davon abgehalten, die Indianer grausam zu unterwerfen und Afrikaner als Sklaven zu importieren. Das Reich der Menschen ist eben nicht einzuteilen in den einen Ort, wo das Böse herrscht und in einen anderen, wo das Gute zu Hause ist.

Wir sollten endlich, über zehn Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten, unsere ideologischen Scheuklappen ablegen. Die DDR war eben nicht das Reich des Bösen. Die regierenden Parteien im Lande wollten nicht die Welt erobern. Sie riefen nicht die Herrschaft einer vemeindlich höheren Rasse über die Minderwertigen aus. Sie planten nicht die fabrikmäßige Vernichtung eines ganzen Volkes. Sie wollten der sozialen Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen. Der realexistierende Sozialismus in Europa hat diese Hoffnung in einem autoritären System verbrannt. Die Freiheitsrechte schienen seinen Machthabern eine zu vernachlässigende Größe.

Im Schatten der SED waren auch die einst bürgerlichen Parteien zu willigen Helfern dieser Politik geworden. Wir lebten in der DDR in Festungshaft mit gelegentlichem Freigang. Alle Parteien der Nationalen Front tragen dafür die Verantwortung, auch die Blockparteien. Sicher ist dieser Zustand durch den Druck der Kommunisten zustande gekommen, aber ihre Mitglieder hätten wissen müssen, worauf sie sich einließen. Und die Bevölkerung der DDR ist moralisch mitverantwortlich, dass die Unfreiheit im Lande herrschte und die Menschenrechte gegen das Linsengericht der sozialen Absicherung eingetauscht worden war. Gegen Ende der DDR flüchteten die Blockparteien unter die Fittiche von westlichen Parteien. Ihr Personal erklärte sich für unschuldig an ihrer Parteiengeschichte. Sie seien gezwungen worden und hätten schon immer mit den Zähnen geknirscht. Ihre ehemaligen Chefs schickten sie in die Wüste oder in die Gefängnisse. Und nun konnten sie fröhlich und unbeschwert in der Demokratie und in der sozialen Marktwirtschaft mitmischen. Dazu versprachen sie genau das, was die Mehrheit der DDR-Bevölkerung sich erhoffte. So errangen sie im März 1990 einen überragenden Erfolg bei den Wahlen für die Volkskammer. Die SPD, als neugegründete Partei im Osten, tat sich ungleich schwerer, aber das ist eine andere Geschichte. Die Bürgerrechtspartei und die Grünen wurden marginalisiert und sollten nur für eine begrenzte Zeit eine Rolle spielen. Heute sind sie eine politische Splittergruppe.

Dagegen begann die zur PDS mutierte SED die Politik im Osten nachhaltig zu bestimmen. In der gesamten Bundesrepublik ist ihr Einfluss gewachsen. 1990 war damit nicht zu rechnen. In dieser Partei hat eine heftige Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit stattgefunden. Keine gesellschaftliche Gruppe ist mit sich selbst so schonungslos umgegangen. Sicher gibt es bei ihr immer noch die Ostalgiker, aber sie haben keine Macht. Aus dem autoritären Saulus ist ein demokratischer Paulus geworden, dessen politisches Verhalten manchmal an eifernde Renegaten erinnert. Es befremdet mich schon, wenn sie sich als die Vorhut der Friedensfreunde und Menschenrechtskämpfer gerieren. Aber man muss sich nicht wundern, wenn die klassischen Träger der Nachkriegsdemokratie um der Rolle Deutschlands in der Weltpolitik willen freiwillig diese Position geräumt haben. Unterdessen hat ein Gewöhnungsprozess begonnen. Die PDS ist nicht mehr ein rudimentäres Fossil, das aus einer vergangenen Epoche in unsere Zeit hineinragt. In Ostdeutschland ist sie zu einer Volkspartei geworden. In manchen Ländern ist sie stärker als die SPD. In Magdeburg begann 1994 der "Aufstieg aus der Asche". Die Minderheitsregierung von Rot-Grün, in der anfänglich die Bündnisgrünen die Zusammenarbeit mit der PDS moderierten, machte die Erfahrung, dass man mit dieser Partei sehr wohl ein Land regieren kann. Die Beteiligung der PDS an Landesregierungen ist nur noch im Wahlkampf in den Augen der Konservativen ein Skandal.

Unterdessen sitzt die PDS mit Fraktionsstärke im Bundestag. Das wird wohl auch so bleiben. Schon heute wird diskutiert, ob diese Partei an einer Bundesregierung beteiligt werden soll, wenn bei den Wahlen im September Rot-Grün es nicht mehr zu einer absoluten Mehrheit schaffen sollte und damit die PDS das Zünglein an der Waage wäre. Die Sozialisten wollen nicht, weil sie das Schicksal der Bündnisgrünen vor Augen haben. Just als die an die Regierung kamen, zog Deutschland in den Krieg und sie stimmten zu. Ein unfassbarer Tabubruch dieser Partei. Vielleicht muss man aus politischer Verantwortung so handeln - aber der Streit ist nicht entschieden. Gysis leise Anmerkung, er könne sich einen Bundeswehreinsatz im Rahmen der UNO vorstellen, rief zunächst einen Sturm der Entrüstung in seiner Partei hervor. Die jetzige Bundesregierung hält die PDS noch nicht für reif, sich an der Regierungsverantwortung in der BRD zu beteiligen. Im Jahr 2006 könnte man neu darüber nachdenken. Aber wenn die oben genannte Mehrheit im September 2002 da ist, sollte man in die große Koalition ausweichen oder sollte man sich mit der Mehrzweckwaffe Westerwelle einlassen? Ich glaube, noch nicht sind alle Messen gesungen.

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