Zur Genese der PDS
Es ist Zeit, die ideologischen Scheuklappen abzulegen
Der Kalte Krieg wirkt in der Bundesrepublik Deutschland nach.
Im Westen halten viele Leute die PDS für eine kommunistische Tarnorganisation,
die die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet. Ihre Beteiligung an
der Macht sei eine Katastrophe für die Demokratie. Im Osten beherrscht der
ideologisch begründete Antiamerikanismus die Gemüter. Zu der rauhbeinigen
Wildwestpolitik des amtierenden amerikanischen Präsidenten George W. Bush gibt
es sicher zu recht viele Bedenken. Wer zum Kreuzzug gegen das Böse
aufruft, ist wie von Blindheit geschlagen und verkennt die Wirklichkeit in der
Welt und im eigenen Land. Trotzdem ist die USA nicht der Hort des Bösen, wie es
die Nationalsozialisten und die Kommunisten in Deutschland in trauter Einheit
verkündigten. In den Vereinigten Staaten steht die Wiege der modernen
Demokratie. Das hat die Amerikaner nicht davon abgehalten, die Indianer
grausam zu unterwerfen und Afrikaner als Sklaven zu importieren. Das Reich der Menschen
ist eben nicht einzuteilen in den einen Ort, wo das Böse herrscht und in
einen anderen, wo das Gute zu Hause ist.
Wir sollten endlich, über zehn Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen
Teilstaaten, unsere ideologischen Scheuklappen ablegen. Die DDR war eben nicht
das Reich des Bösen. Die regierenden Parteien im Lande wollten nicht die Welt
erobern. Sie riefen nicht die Herrschaft einer vemeindlich höheren Rasse über die
Minderwertigen aus. Sie planten nicht die fabrikmäßige Vernichtung eines ganzen
Volkes. Sie wollten der sozialen Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen. Der
realexistierende Sozialismus in Europa hat diese Hoffnung in einem autoritären
System verbrannt. Die Freiheitsrechte schienen seinen Machthabern eine zu vernachlässigende
Größe.
Im Schatten der SED waren auch die einst bürgerlichen
Parteien zu willigen Helfern dieser Politik geworden. Wir lebten in der DDR in
Festungshaft mit gelegentlichem Freigang. Alle Parteien der Nationalen Front
tragen dafür die Verantwortung, auch die Blockparteien. Sicher ist dieser
Zustand durch den Druck der Kommunisten zustande gekommen, aber ihre Mitglieder
hätten wissen müssen, worauf sie sich einließen. Und die Bevölkerung der DDR
ist moralisch mitverantwortlich, dass die Unfreiheit im Lande herrschte und die
Menschenrechte gegen das Linsengericht der sozialen Absicherung eingetauscht
worden war. Gegen Ende der DDR flüchteten die Blockparteien unter die Fittiche
von westlichen Parteien. Ihr Personal erklärte sich für unschuldig an ihrer
Parteiengeschichte. Sie seien gezwungen worden und hätten schon immer mit den
Zähnen geknirscht. Ihre ehemaligen Chefs schickten sie in die Wüste oder in die
Gefängnisse. Und nun konnten sie fröhlich und unbeschwert in der Demokratie und
in der sozialen Marktwirtschaft mitmischen. Dazu versprachen sie genau das, was
die Mehrheit der DDR-Bevölkerung sich erhoffte. So errangen sie im März
1990 einen überragenden Erfolg bei den Wahlen für die Volkskammer. Die SPD, als
neugegründete Partei im Osten, tat sich ungleich schwerer, aber das ist eine
andere Geschichte. Die Bürgerrechtspartei und die Grünen wurden marginalisiert
und sollten nur für eine begrenzte Zeit eine Rolle spielen. Heute sind sie eine
politische Splittergruppe.
Dagegen begann die zur PDS mutierte SED die Politik im Osten
nachhaltig zu bestimmen. In der gesamten Bundesrepublik ist ihr Einfluss gewachsen. 1990
war damit nicht zu rechnen. In dieser Partei hat eine heftige
Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit stattgefunden. Keine
gesellschaftliche Gruppe ist mit sich selbst so schonungslos umgegangen. Sicher
gibt es bei ihr immer noch die Ostalgiker, aber sie haben keine Macht. Aus dem
autoritären Saulus ist ein demokratischer Paulus geworden, dessen politisches
Verhalten manchmal an eifernde Renegaten erinnert. Es befremdet mich schon,
wenn sie sich als die Vorhut der Friedensfreunde und Menschenrechtskämpfer
gerieren. Aber man muss sich nicht wundern, wenn die klassischen Träger der
Nachkriegsdemokratie um der Rolle Deutschlands in der Weltpolitik
willen freiwillig diese Position geräumt haben. Unterdessen hat ein
Gewöhnungsprozess begonnen. Die PDS ist nicht mehr ein rudimentäres Fossil,
das aus einer vergangenen Epoche in unsere Zeit hineinragt. In Ostdeutschland
ist sie zu einer Volkspartei geworden. In manchen Ländern ist sie stärker als
die SPD. In Magdeburg begann 1994 der "Aufstieg aus der Asche". Die
Minderheitsregierung von Rot-Grün, in der anfänglich die Bündnisgrünen die
Zusammenarbeit mit der PDS moderierten, machte die Erfahrung, dass man mit
dieser Partei sehr wohl ein Land regieren kann. Die Beteiligung der PDS an
Landesregierungen ist nur noch im Wahlkampf in den Augen der Konservativen ein
Skandal.
Unterdessen sitzt die PDS mit Fraktionsstärke im Bundestag.
Das wird wohl auch so bleiben. Schon heute wird diskutiert, ob diese Partei an
einer Bundesregierung beteiligt werden soll, wenn bei den Wahlen im September Rot-Grün
es nicht mehr zu einer absoluten Mehrheit schaffen sollte und damit die PDS das Zünglein an der
Waage wäre. Die Sozialisten wollen nicht, weil sie das Schicksal der
Bündnisgrünen vor Augen haben. Just als die an die Regierung kamen, zog
Deutschland in den Krieg und sie stimmten zu. Ein unfassbarer Tabubruch dieser
Partei. Vielleicht muss man aus politischer Verantwortung so handeln - aber der
Streit ist nicht entschieden. Gysis leise Anmerkung, er könne sich einen
Bundeswehreinsatz im Rahmen der UNO vorstellen, rief zunächst einen Sturm der
Entrüstung in seiner Partei hervor. Die jetzige Bundesregierung hält die PDS
noch nicht für reif, sich an der Regierungsverantwortung in der BRD zu beteiligen. Im
Jahr 2006 könnte man neu darüber nachdenken. Aber wenn die oben genannte
Mehrheit im September 2002 da ist, sollte man in die große Koalition ausweichen
oder sollte man sich mit der Mehrzweckwaffe Westerwelle einlassen? Ich glaube,
noch nicht sind alle Messen gesungen.
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