Die Kirche / Glaube + Heimat / Der Sonntag, 16. Mai 2004, Seite 3

"Prediger und Ost-Ikone"

Friedrich Schorlemmer wird diesen Sonntag 60 Jahre alt

Wenn in der deutschen Gesellschaft über Ostdeutschland gestritten wird, dann fragen die Medien in der Regel einen Mann aus Wittenberg um seine Meinung. Sie haben ihn zur Ost-Ikone, zum Parade-Bürgerrechtler, zum extravaganten Denker stilisiert. Das ist seine Lust und sein Frust. Die Rede ist von Friedrich Schorlemmer, dem Theologen und Studienleiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in der Lutherstadt. Er wird am 16.Mai 2004 60 Jahre alt.

Sein Vater war Pfarrer in Werben, einer Kleinstadt in der Altmärkischen Wische. Im Schatten der gewaltigen Johanneskirche, deren riesiges Dach weithin die Elblandschaft beherrscht, verbrachte er seine Kindheit und Jugend. In den Gemächern der Tradition wohnend, der Mitwelt kritisch und solidarisch zugewandt - diese Haltung wird sein Leben bestimmen. Seine Liebe gehörte der Kirche. Er ist ein Kirchenmann, ein exzellenter Prediger mit Leidenschaft. In die politische Praxis geriet er später mehr zufällig.

Er ist ein Meister der symbolischen Handlungen. 1983 ließ er im Lutherhof in Wittenberg vor Kirchentagsteilnehmern ein Schwert zur Pflugschar umschmieden. Im Westfernsehen konnte die erstaunte Öffentlichkeit sehen, wie der Schmied Stefan Nau seinen Hammer schwang. Fünf Jahre später verteilte er auf einem Kirchentag in Halle "20 Wittenberger Thesen". Bei diesem Stichwort denkt natürlich jeder an die berühmten Thesen aus Wittenberg, die die Reformation einleiteten. Schorlemmer wollte Reformen in der DDR. "Die Zeit des Schweigens ist vorbei, und die Zeit des Redens ist gekommen", ließ er den Mächtigen der DDR im Predigtton wissen.

Er prangerte den vormundschaftlichen Staat an, aber er blieb ein Mensch, der auf einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz hoffte. 1989 dachten viele Dissidenten, dass es möglich wäre, diesen Traum zu verwirklichen. Im Herbst engagierte er sich beim Demokratischen Aufbruch. Als am 9. November die DDR-Machthaber selbst die Mauer öffneten, kam das jähe Erwachen. Noch stemmte er sich gegen das Ende seiner Hoffnungen. Am 28.11.1989 war er Mitunterzeichner des Aufrufes "Für unser Land". Als Egon Krenz unterzeichnete, war der Aufruf reif für den Papierkorb.

Seine neue Partei wurde immer konservativer. Enttäuscht verließen Schorlemmer und andere Linke die Neugründung und gingen zur SPD. Vier Jahre saß er noch im Stadtparlament von Wittenberg, dann wurde er wieder ausschließlich das, was er schon immer war, der überzeugte und überzeugende Prediger, der für die Entwürdigten und Ausgegrenzten seine Stimme erhob. Als die blühenden Landschaften nicht kamen, unterzeichnete er im Januar 1997 die "Erfurter Erklärung", die der ostdeutschen Enttäuschung eine Stimme gab.

Und er wollte vor allem Versöhnung im Osten. Er war nicht unwesentlich an der Schlussstrich-Debatte beteiligt. Er forderte, dass die Stasi-Akten in einem "Freudenfeuer" vergehen sollten. Mit Preisen geehrt - zum Beispiel 1993 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels - steht er heute im vollen Licht der Öffentlichkeit. Manchmal wundert er sich, dass er nicht so wahrgenommen wird, wie er es gern möchte. Prominenz hat ihren Preis. Ich wünsche uns, dass der 60-jährige unverdrossen weitermacht, damit alle Mauern fallen, und Worte die Türen öffnen.

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