Neues Deutschland, 03. April 2002

Politische Bildung in der Bewährung

Verein Miteinander stärkt die Kräfte der Zivilgesellschaft gegen Rechts, für Demokratie und Weltoffenheit

Nach der Wahl 1998 saßen 16 DVU-Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt. Niemand hatte damit gerechnet. Plötzlich erblickten sie das Licht der Öffentlichkeit, die fleischgewordenen Stammtischparolen. Keiner hatte vorher je von ihnen etwas gehört. Die Münchener Zentrale hatte das Land flächendeckend mit unglaublich primitiven Wahlkampfsprüchen überzogen und die Briefkasten seiner Einwohner mit Propagandamaterial gefüllt. Und Hunderttausende wählten diese Partei. Das war der eigentliche Skandal. Diese Partei hat Menschen erreicht, die keine auffälligen Rechtsextremisten sind. Unterdessen haben die Abgeordneten sich politisch selbst entleibt. In einem würdelosen Schauspiel von Intrigen, Abspaltungen, Denunziationen und politischer Flachköpfigkeit erwiesen ihre völlige Unfähigkeit für seriöses politisches Handeln. Trotzdem bleibt das Erschrecken, dass so viele Bürgerinnen und Bürger dem undemokratischen und intoleranten Geschwafel auf dem Leim gekrochen sind.

Die Landesregierung und die demokratische Öffentlichkeit sah sich zum Handeln gezwungen. Alle Ministerien entwarfen ein Programm gegen rechts. Journalistinnen und Journalisten gründeten den Verein Menschenskinder. In der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt wurde am 10. November 1998 beschlossen, den Verein Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt - ins Leben zu rufen. Abgeordnete des Landtages, Erwachsenenbildner, Jugendmitarbeiter, Sozialarbeiter und Hochschulmitarbeiter berieten die Idee, durch diesen Verein in den ländlichen Regionen drei bis vier Zentren in Kleinstädten zu errichten. Eine Landtagsmehrheit beschloss, diese Vereinsgründung materiell zu unterstützen. Seit Mai 1999 gibt es den Verein. Das Parlament stellt 2 Millionen DM zur Verfügung. Nach anfänglich öffentlicher Kritik, die vor allem aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit kam, hat sich der Streit gelegt und der Verein befindet sich im ruhigen Fahrwasser. Ich wurde zum Vorsitzenden gewählt und die Rechte im Parlament wurde nicht müde, mich zu beschimpfen. Unterdessen hat Miteinander e.V. in den Regionen sich eine hohe Akzeptanz erworben. In den Büros von Gardelegen, Aschersleben, Rosslau und Weißenfels bemühen sich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu sammeln und zu stärken. Das Unternehmen ist ein Langzeitprogramm. Niemand kann erwarten, dass von oben 2 Millionen DM in die Vereinskasse geschüttet werden und nach kurzem Rattern in der Bekehrungsmaschine unten demokratiegestählte Menschen herausfallen. Trotzdem bleibt die Frage gerechtfertigt, ob das Geld sinnvoll eingesetzt wird und die Früchte der Bemühungen wahrzunehmen sind.

Wir haben viele gute Erfahrungen gesammelt. Der Osten und das Land Sachsen-Anhalt ist eben nicht allein voller Lethargie und Hoffnungslosigkeit, sondern es finden sich Bürgerinnen und Bürger, die bereit sind, der Gesellschaft ein menschliches Antlitz zu verleihen. In den ländlichen Regionen machen sich Schülerinnen und Schüler von sich aus auf den Weg, suchen Verbündete, um den rechten Parolen in ihrem Lebensumfeld zu widerstehen. Erwachsene schließen sich in den Kommunen zusammen, um Bündnisse für Weltoffenheit und Toleranz ins Leben zu rufen. Lehrerinnen und Lehrer versuchen der Demokratie in der Schule eine Chance zu geben. Jugendliche entwickeln eine alternative musikalische Szene in einem stillgelegten Bahnhof. Kirchliche Jugendarbeit fördert die Phantasie und Kreativität von Heranwachsenden. Miteinander begleitet solche Initiativen, ermutigt die Initiatoren, sucht mit ihnen gemeinsam nach neuen Ideen und stellt auch Finanzen zur Verfügung.

Das Bild vom engstirnigen Jammerossi, dem Fremdenfeindlichkeit eine Herzensangelegenheit ist, der sich Tag und Nacht nach autoritären Lebensmustern sehnt, trifft eben die Wirklichkeit nicht. Zwischen Nörglern, Besserwissern und Beschränkten wächst eine Kultur der offenen Gesellschaft, die von engagierten, klugen, kritischen und toleranten Menschen getragen wird. So wird der Verein Miteinander zum Träger einer Investition für die Zukunft einer lebendigen Demokratie.

Ich denke, das Geld des Landes wird so gut angewendet. Unterdessen haben wir Mittel aus Berlin und Brüssel eingeworben. Jetzt können wir für Berufsschulen Programme erstellen, die den demokratischen Horizont der Auszubildenden erweitert. Opfer rechter Gewalt können beraten werden. Außerdem hat eine Initiative von Miteinander e.V. zu einem Opferfond geführt, dem bisher 70.000 DM von privaten Personen und Unternehmen zugeflossen sind. Unsere große Hoffnung ist, dass wir diese Arbeit langfristig fortführen können. Es ist nicht die Zeit, an dem Zustand der Gesellschaft zu verzweifeln, aber es ist auch nicht an der Zeit, Entwarnung zu geben. Rotstiftpolitik wäre in diesem Fall keine kluge Politik.

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