Volksstimme, 27. Mai 2004

Die Politik gibt auf

Betr.: Aufkündigung des Heidekompromisses

1989 öffnete sich die Mauer. Die Nachkriegszeit ging zu Ende. Ostdeutschen wurde der Herbst jenes Jahres zum phantastischen Traum. Sie hofften auf Frieden für alle und Wohlstand für jeden. In den frühen 90er Jahren erwarteten die Menschen in Ostdeutschland, dass ihre Ängste und Bedrückungen verschwinden. Der heraufziehende Friede würde Truppenübungsplätze überflüssig machen. Eine ganze Region war sich einig. Wenn die Russen abziehen, sollte die Colbitz-Letzlinger Heide eine grüne Lunge für alle werden. Der Landtag von Sachsen-Anhalt beschloss, sich für die zivile Nutzung einzusetzen. Die Bevölkerung der Anrainer verfasste eine Petition. Ein natürliches Kleinod für den sanften Tourismus sollte entstehen.

Später sickerte der Alltag wieder ins Leben und Enttäuschungen blieben nicht aus. Allmählich veränderte sich das öffentliche Klima. Der Frieden brach mitnichten aus. Deutsche Truppen nahmen in aller Welt an Militäraktionen teil, um die Humanität in bedrohten Regionen zu sichern, ließ man uns wissen. Das vereinte Land müsse seine gesteigerte Verantwortung für die Welt wahrnehmen, sagten uns die Politiker in Bonn und Berlin. Die Bundeswehr kam in die Heide und baute ein Gefechtszentrum. Die Leute gewöhnten sich daran und viele fanden Gefallen an der neuen Situation. Das Militär wurde zum Wirtschaftsfaktor. Gut aufgehoben sein das Gebiet in den Händen der Bundeswehr, sage heute viele Politiker des Landes.

Als sich 1996 die Entscheidung für den Ausbau des Truppenübungsplatzes abzeichnete, versuchten die Mitglieder der damaligen Landesregierung, den ursprünglichen Traum nicht völlig zu beerdigen. Sie schlossen den so genannten Heidekompromiss. Der südliche Teil sollte vom Bund beräumt und ab 2006 zivil genutzt werden. Die jetzige Landesregierung verzichtet jetzt auch noch auf den letzten Rest einer tief greifenden Veränderung. Offensichtlich gibt es zu diesem Schritt in der Region mehr Zustimmung als Ablehnung.

Sollte nun auch die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe aufgeben, deren Mitglieder Monat für Monat an den einstigen Traum erinnern und für die zivile Nutzung demonstrieren? Ich hielte das für ein falsches Signal. Gelassen, geduldig und ohne Bitterkeit sollten sie ihre Demonstrationen fortsetzen. Wer sagt denn, dass eine friedlichere Welt unmöglich sei? Ein Leben ohne Visionen wäre arm.
 
Hans-Jochen Tschiche
Samswegen

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