Volksstimme, 12. August 2008

Anmerkung zur Geschichtsaufarbeitung

Betr.: Landesbeauftragter wertet Bildungsprojekt aus Ruden: „Wissen über die DDR ist fast null“

Zeitzeugen sehen nur Ausschnitte aus der DDR-Geschichte. Ihre Aussagen sind wie Mosaiksteine, die zu einem Gesamtbild gehören. Aber noch ist aus unterschiedlichen Gründen die Gesamtschau nicht möglich. Aber einige Fixpunkte stehen heute schon fest:

  1. Wer die DDR als zweite Diktatur auf deutschem Boden bezeichnet und sie damit in die Nähe des NS-Regimes rückt, liegt falsch. In der DDR gab es keinen Holocaust, keine Euthanasie und es wurde auch kein Weltkrieg angezettelt.
  2. Wer die DDR nostalgisch verklärt, übersieht die tiefen Schatten dieses Staates. Die Idee des Sozialismus, dem Einzelnen nicht nur die Freiheitsrechte sondern auch die sozialen Rechte als Menschenrechte zu garantieren, war zum ideologischen Machterhalt einer Partei verkommen. Die Genossen fürchteten nichts mehr als den Machtverlust. Deshalb behandelten sie die Bevölkerung wie Leibeigene, ließen die Unbotmäßigen überwachen oder einsperren, mauerten das Land ein und ließen auf die Flüchtlinge schießen.
  3. In der SED gab es nicht nur Betonköpfe und Opportunisten, sondern auch Menschen, die Trauer trugen über das Misslingen ihres Traumes.
  4. Der wirtschaftliche Alltag der DDR war von einer korrupten Schlamperei bestimmt, die vieles zuließ, was ideologisch verpöhnt war. Das musste auf die Dauer zum wirtschaftlichen Kollaps führen.
  5. In der DDR war es möglich, sich in private Nischen zurückzuziehen, in denen die Menschen sich einer verhältnismäßigen großen Freiheit und Unabhängigkeit erfreuen konnten, so lange sie öffentlich nicht auffielen.

Mit diesen 5 Gesichtspunkten kann man sich der DDR-Geschichte nähern, ohne sie schon voll zu erschließen. Vereinfachte Formeln sollten in der Schule der nachwachsenden Generation nicht zugemutet werden.
 
Hans-Jochen Tschiche
Satuelle

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