Neues Deutschland, 19. März 2003
Leise Töne
Besprechung zum Buch:
Reinhard Höppner: "Acht unbequeme Jahre". Mitteldeutscher Verlag, Halle. 2003
Wenn sich die Tür zum Amtszimmer des Ministerpräsidenten Dr. Reinhard Höppner
öffnete, blickte der Besucher nicht auf einen mächtigen Schreibtisch, hinter dem die
Person gewordene Macht auf ihr Opfer lauerte, um es zum Untertan zu machen. An seiner Stelle
standen Sitzmöbel um einen niedrigen Tisch gruppiert. So wurde das Zimmer zum Ort, von dem
man Gespräche unter gleichberechtigten Partnern erwartete. Ich habe ab und an an jenem
Tisch gesessen und diese Atmosphäre gespürt. Das apodiktische Machtwort war nicht
Höppners Sache. Der zarte Mann, Rauchutensilien und Pfeife immer in seiner Nähe, wirkte
nachdenklich und bedächtig. Er versuchte zu überzeugen. Seine
kirchliche Vergangenheit als Präses der Synode hat ihn geprägt. Er war in den Kompromiss
verliebt. Manchmal versäumte er klare Entscheidungen. Aber er ließ sich auch nicht
von den Mächtigen dieser Welt einschüchtern. Höppner, ein protestantischer
Sozialdemokrat, hat Sachsen-Anhalt 1994 bis 2002 regiert.
Sein Buch will dazu beitragen, "dass Politik
verständlicher wird, verständlicher selbst für die, die andere politische
Überzeugungen haben und andere Entscheidungen gewünscht hätten". Schon in der
Einleitung bekennt er sich zu den leisen Tönen. Auf einem Wahlparteitag erklärte er:
"Ich bin kein Mann der Boxhandschuhe. Wenn mir manchmal das Messer in der Tasche aufgeht,
lass ich es lieber drinn. Schlammschlachten sind mir zuwider. Ich setzte lieber auf die Kraft der
Argumente. Manche legen mir das als Schwäche aus. Aber in diesem Punkt müsst Ihr mich
nehmen, wie ich bin. Ich bin nicht in die Politik gegangen, um mich verbiegen zu lassen."
Auf der Suche nach Kompromissen und Interessenausgleich war und ist der Mann in seinem Element.
Aber dann wagte er 1994 nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt einen unglaublichen Tabubruch und blieb
beratungsresistent gegen die Parteizentrale in Bonn. Er bildete eine Minderheitsregierung, die
alle Welt in Deutschland das Magdeburger Modell nennen sollte. Er zitiert in seinem Buch einen
Satz des Landesvorsitzenden Dr. Rüdiger Fikentscher aus der Wahlnacht: "Ich sehe eine klare
Mehrheit im Landtag, die Reinhard Höppner zum Ministerpräsidenten wählen will.
Ich kann aber keine Mehrheit erkennen, die Lust hat, Herrn Bergner zu wählen." Dieser Satz
saß wie ein Stachel im Fleisch. Als in jener Nacht auf der SPD-Wahlparty die Genossen und
Genossinnen Rot-Grün geschrien haben, war er zu dem Entschluss gekommen, diese
Minderheitsregierung zu versuchen. Die angestrebte Koalition hatte vier Stimmen mehr als die CDU.
Im dritten Wahlgang war auch ohne Mitwirkung der PDS seine Wahl zum Ministerpräsidenten
möglich. Es ging alles im Eilzugtempo: die Koalitionsverhandlungen, die Wahl des
Ministerpräsidenten und die Regierungsbildung.
Bei der zweiten Tabu-Verletzung meldete sich Ostdeutschland zurück. Die Koalition wurde
von der PDS toleriert. Das lieferte die Wolle für die Rote-Socken-Kampagne. Zwar hatte
Höppner der Dresdener Erklärung der SPD zugestimmt, die Zusammenarbeit mit der PDS
zu meiden. Für sein Tun hatte er sich ein Erklärungsmuster zurechtgelegt.
Er würde nur mit den frei gewählten Abgeordneten der PDS zusammenarbeiten, aber
nicht mit der Partei. Er meint in seinem Buch, dass er ein zweites Mal ein solch verschlungenen
Weg nicht betreten würde. Dieser Versuch war die Antwort auf die Frage, was macht man mit
den alten Eliten eines Staates, der ohne Gewalt verschieden ist. Die CDU und die FDP hatten
schon die Blockparteien der DDR integriert, ohne dass es große Erregungen gab. Jetzt
wurde der PDS die Teilhabe am politischen Gestalten ermöglicht. Dieses mutige Handeln
hat zur innergesellschaftlichen Aussöhnung in Ostdeutschland beigetragen und
Gesamtdeutschland einer Politik nach dem Kalten Krieg näher gebracht.
Diesen Mut in der ersten Regierungsperiode hat Höppner leider in der zweiten Regierungszeit
nicht wieder aufgebracht. Spätestens nach der Bundestagswahl im Herbst 1998 wäre die
Koalition mit der PDS fällig gewesen. Ich denke, das war sein entscheidender Fehler. Ein
Ministerpräsident kann nicht immer nur moderieren, sondern muss deutliche Entscheidungen
treffen. Aber das hätte natürlich Ärger gegeben. Die Kettensäge, die sein
Innenminister mit der Verschärfung des Polizeigesetzes angeworfen hatte, hat am Stuhl des
Ministerpräsidenten gesägt. Höppner beschreibt, wie er bis in den Garten hinter
Püchel hergefahren sei. Solche Versöhnungsversuche erschienen dem Beobachter als
Durchwurstelei. Es gab keine öffentlich erkennbaren politischen Ziele, wie in einem
Koalitionsvertrag. Die 5+5-Verhandlungen zwischen SPD und PDS konnten das nicht ersetzen.
Die neue Mitte verdunkelte eher die politischen Ziele der SPD. So kam es, wie es kommen musste,
die SPD erlitt eine Wahlniederlage.
An dem Buch wird deutlich, wie schwierig es ist, Vorgänge zu beschreiben, wenn der Zeitzeuge
Rücksicht auf Mitstreiter und Gegner nehmen muss. Dann fehlen klare Worte über
Fähigkeit und Unfähigkeit, über Solidarität und Heimtücke. Die
Hauptschwäche seines politischen Handelns hat Höppner selbst erkannt: Es sei sein
Fehler gewesen, die Konflikte nicht ausgetragen zu haben.
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