‚Die Kirche ist für alle da, aber nicht für alles!’
Die Kirche(n) und ihre (Basis-)Gruppen sowie der besondere Umgang der Kirche(n) mit den Lesben- und Schwulengruppen (Arbeitskreise Homosexualität).

Vorwort

In diesem Vortrag sollen die Veränderungen in den evangelischen Landeskirchen der DDR beschrieben werden, die schließlich zur kritischen Solidarität mit den Gruppen für Frieden, Bürgerrechte, Emanzipation und eine gesunde Umwelt unter ihrem Dach geführt haben. Außerdem sollsichtbar werden, wo die Konfliktlinien zwischen Kirche, Staat und Gruppen verliefen. Dabei darf man nicht außer acht lassen, dass in den 80er Jahren niemand mit dem Verschwinden der DDR gerechnet hat.
Das Thema war zu DDR-Zeiten allein für die evangelischen Landeskirchen interessant. Die katholische Kirche sicherte fast ausschließlich ihre Organisation und den innerkirchlichen Betrieb. Sie versuchte möglichst konfliktfrei unter der SED-Herrschaft zu überwintern. Die emanzipatorischen Gruppen waren für sie in der Regel nur ein Störfaktor und die Lesben und Schwulen ein Gräuel. Deshalb mochten die Verantwortlichen dieser Kirche diese Gruppen genauso wenig wie der Staatssicherheitsdienst. Die Freikirchen konzentrierten sich auf die individuelle Frömmigkeit und vermieden den Zusammenstoß mit der Staatsmacht. Nur in den evangelischen Kirchen gab es eine nennenswerte Anzahl von Amtsträgern und engagierten Christen, die sich in schwierigen Zeiten der Aufgabe der gesellschaftlichen Diakonie stellten.

Die Kirche im Kalten Krieg

1945 lag Deutschland in Trümmern. Die evangelischen Kirchen im Osten befanden sich im sowjetischen Machtbereich und bald bahnten sich heftige Auseinandersetzungen an. Der werdende Staat verstand sich als Verkünder des Marxismus-Leninismus . Für die Kirche war die brennende Frage, „wie sich die Christen ... in einem Gemeinwesen mit betont unchristlicher Führung zu verhalten haben.“ Für die meisten Kirchenführer war klar, dass sie diese Autorität nicht anerkennen konnten. Bischof Otto Dibelius schrieb in einem Brief vom 20. April 1951: „In der östlichen Zone leben rund 20. Mio Menschen, von diesen gehören mehr als 9 Zehntel einer Kirche an. Die Kirche hat sie getauft auf das vor Gott abgegebene Versprechen, dass sie im christlichen Glauben erzogen werden sollen. Sie trägt die Verantwortung, dass das nun auch geschieht.“ „Die Kirche wünscht keinen Kampf, aber sie fürchtet ihn nicht.“ „Ein atheistischer Staat kann für die Christen niemals zu einer Heimat werden.“ Das war eine offene Kampfansage. Als der Staat in den fünfziger Jahren die Jugendweihe durchsetzen wollte, hieß es unnachgiebig: „So sind die Leitungen aller Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik zu der Erkenntnis gekommen, dass Jugendweihe und Konfirmation einander ausschließen.“ Die kommunistischen Machthaber fühlten sich durch solche markigen Töne provoziert und in ihren alten Vorurteilen bestätigt, dass der Klerikalismus der Feind der Arbeiterbewegung sei. Der Kampf um die Jugend entbrannte heftig. „Die Tätigkeit der Pfarrer mit der Jugend verstärkt sich in der Zeit der Jugendweihe besonders.“ Die Kirche verlor ihre flächendeckende Konfirmationsstruktur und die Jugendweihe ist 2005 in Ostdeutschland normal. Auf der anderen Seite bemühten sich die Genossen intensiv, die kirchlichen Amtsträger zu diffamieren und die Jungen Gemeinden zu zerschlagen. Der Superintendent B. „versucht ... – und sicher nicht ohne Auftrag -, den christlichen Glauben zahlreicher Menschen zu missbrauchen, sie durch seine Hetze in die Irre zu führen und vom aktiven Kampf um den Frieden abzuhalten, an dessen Spitze die Sowjetunion steht“ . Der Pfarrer B. sei „ein Knecht der militaristischen klerikalen Reaktion, die von Westdeutschland aus den Bruderkrieg in Deutschland vorbereitet“ . Die Jungen Gemeinden waren das bevorzugte Ziel der Angriffe: „Junge Gemeinde – Terrororganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage im USA-Auftrag“ . „Jeder junge Christ, der sich von der reaktionäre Tätigkeit der ‚Jungen Gemeinde’ abwendet und der Freien Deutschen Jugend beitritt, schließt sich auch dem mächtige Lager der friedliebenden Jugend der Welt an.“ Von Januar bis April 1953 verhaftete der SSD etwa 50 Geistliche, Laienhelfer und Diakone. 300 Oberschüler wurden wegen ihrer Zugehörigkeit zur Jungen Gemeinde relegiert. Die evangelischen Bischöfe verwahrten sich im April 1953 scharf gegen dieses Vorgehen und nannten den Druck des Staates „unerträglich, unmenschlich und unverzeihlich“ . Erst mit dem Beschluss des Politbüros zum Neuen Kurs am 9. Juni 1953 hörten die schlimmsten Schikanen auf. Der Staat hatte in dieser Frage eine Niederlage hinnehmen müssen. Offenbar half die Brechstange nicht und die Genossen besannen sich auf eine andere Form der Bekämpfung der Kirche: Teile und herrsche. Die Christliche Friedenskonferenz und der Bund der evangelischen Pfarrer wurden als Gegengewicht zur angeblich westlich beherrschten Kirchenpolitik gegründet. Aber auch das wurde kein Erfolg, weil sie niemand in den Kirchen ernst nahm. Schließlich kreierte die Kirche in Thüringen den so genannten Thüringer Weg , der die Möglichkeit eröffnen sollte, sich in der real existierenden DDR einzurichten und auch einer „wunderlichen Obrigkeit“ Untertan zu sein. Säkularisation und Emanzipation hatten in diesem Versuch keinen Platz. Erst nach dem Bau der Mauer sollten sich neue Horizonte im kirchlichen Handeln erschließen.

  Vollständiger Text als PDF-Datei (99kB)