Neues Deutschland vom 10.09.2004
»Sie gehören auf die Strafbank«
NPD und DVU drängen auf der Protestwelle und mit nationalistischer
Propaganda in Landtage / Hans-Jochen Tschiche über den Umgang mit
Rechtsextremisten im Wahlkampf und in Parlamenten
Hans-Jochen
Tschiche, Theologe, Jahrgang 1929, saß von 1990 bis 1998 für die
Bündnisgrünen im Magdeburger Landtag und ist Vorsitzender des Vereins
»Miteinander – Netzwerk für Demokratie und Weltoffenheit in
Sachsen-Anhalt«.
ND: Herr
Tschiche, Wahlforscher trauen den rechtsextremen Parteien NPD und DVU
zu, in die Landtage von Sachsen und Brandenburg einzuziehen. Mit
welchen Gefühlen beobachten Sie diese Entwicklung?
Tschiche:
Das ist bedrohlich, ebenso wie die Naivität mancher Leute. Es gab schon
Montagsdemos, bei denen ein rechter Block mitmarschiert ist und von den
anderen Teilnehmer toleriert wurde, weil das ja auch anständige
Deutsche seien. Das bestätigt meine alte Befürchtung, dass rechtes
Gedankengut bis weit in die Mitte der Gesellschaft reicht und in einer
Krisensituation deutlich sichtbar wird.
Es gab viele
Nazi-Gewalttaten, es gab rechtsextreme Landtagsfraktionen, die sich
blamiert haben. Warum finden solche Parteien dennoch Anklang?
In einer Proteststimmung wie derzeit wenden sich viele Menschen eben
Gruppen zu, die einfache Formeln anbieten – ganz egal, ob sie bereit
oder in der Lage sind, Verantwortung zu übernehmen. Es geht nur darum,
es denen da oben mal richtig zu zeigen. Aber die enge Verbindung
zwischen rechtem Gedankengut und politischer Wirklichkeit, wie sie am
Ende der Weimarer Republik zu beobachten war, die gibt es nicht, glaube
ich.
Was halten Sie von der üblich gewordenen
Gleichsetzung von rechtem und linkem Rand – womit einerseits
Naziparteien und andererseits die PDS gemeint sind?
Da
ist der Versuch der etablierten Parteien, Kritik an der Demontage des
Sozialstaats zu diffamieren. Es ist reine Wahlpropaganda, genau wie
dieses SPD-Gerede von einer neuen Volksfront zwischen PDS und CDU. Der
SPD geht die Muffe, weil sie in Brandenburg und Sachsen eine neue
Klatsche befürchtet. Da wird nicht mehr differenziert. Ich sehe kein
neues Bündnis zwischen Linken und Rechten, auch nicht zwischen
radikalen Linken und radikalen Rechten. Wer so etwas mit Hinweis auf
die Weimarer Republik sagt, betreibt Geschichtsklitterung.
Wobei die PDS, zumal im Osten, kein linker Rand ist.
Die PDS ist eine linke sozialdemokratische Partei, eine typische
sozialistische Partei Westeuropas.
Zeigen die Rechts-Links-Gleichsetzungen Wirkung? Im
Westen schon, weil der Kalte Krieg nachwirkt. Im Osten erreicht man
wohl eher das Gegenteil – dass die Leute nämlich sagen, jetzt wählen
wir die PDS erst recht.
Werden so die Rechten hoffähig gemacht?
Das glaube ich nicht. Man will die PDS vom Hofe der Macht vertreiben
oder fern halten, das ist die Absicht.
Die
DVU hat im Magdeburger Landtag vier Jahre lang ein einziges Trauerspiel
geboten. Reicht dieses Beispiel nicht, muss jedes Bundesland diese
Erfahrung aufs Neue machen?
Die Leute haben ein kurzes
Gedächtnis. Und sie sind jetzt sehr zornig. Viele Ostdeutsche empfinden
es als Demütigung, was seit 1990 politisch gelaufen ist. Da ist Hartz
IV eher der letzte Anlass als der Grund, warum sie auf die Straße
gehen. Aus Wut wollen manche das wählen, was die Etablierten am meisten
erschreckt – und das sind die Rechtsextremen.
Was kann die
Gesellschaft gegen das Anwachsen des Rechtsextremismus tun? Hätte ein
NPD-Verbot geholfen?
Verbote
helfen auf Dauer nicht. Die Politik muss versuchen, das Vertrauen der
Bürger zurückzugewinnen. Wenn die Bundesregierung den Eindruck
vermittelt, die Leute würden die Reform nur nicht verstehen, ist das
genau falsch. Viele Menschen spüren, dass über sie hinweg entschieden
wird und die Wirtschaft die Politik im Griff hat. Und wenn die Politik
sagt, es gebe keine Alternativen, ist das sehr bedenklich. Keine
Alternative – das gibt es nur in Diktaturen.
Wenn Rechtsextremisten in den Landtag kommen – wie sollte man
dort mit ihnen umgehen?
Man
muss sie isolieren, aber man darf dabei nicht gegen die
parlamentarischen Regeln verstoßen. Also: Keine
Geschäftsordnungstricks, aber auch bei keinem Antrag von ihnen
mitgehen, einfach um der politischen Hygiene willen. Die öffentliche
Missachtung muss sie treffen. Irgendwie sollten sie auf der Strafbank
sitzen.
Interview: Wolfgang Hübner
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