Allein gegen alle

Nachdem in Brandenburg und Sachsen noch vor den Bundestagswahlen 1994 die Bündnisgrünen aus den Landtagen verschwunden waren, habe ich mir einen heftigen Rüffel eingehandelt, der mir auf dem Länderrat verpasst wurde. Im September, vier Wochen vor den Bundestagswahlen, tagte in München dieser kleine Parteitag. Die Wahlniederlage in Sachsen und Brandenburg sollte dort unter den sprichwörtlichen Teppich gekehrt werden. Die Aussprache über das Wahldesaster im Osten wurde kurzer Hand abgesetzt. Die Fusion von den Grünen und BÜNDNIS 90 vor eineinhalb Jahren sei eine Erfolgsgeschichte gewesen. Jegliche Debatte über künftige Strategien nach der Marginalisierung im Osten sollten vor den Bundestagswahlen unterbleiben. Alles andere wäre unprofessionell. Die Westgrünen wollten wieder in den Bundestag und möglichst auch noch in die Regierung. Alle wünschten sich, dass der Spitzenkandidat der SPD, Rudolf Scharping, doch etwas schneller spräche.

Von der politischen Schmuddelecke in Sachsen-Anhalt, wo es Parteifreunde mit der PDS trieben, sollte erst recht nicht geredet werden. Es bestand nämlich die Gefahr, dass die relativ wenigen übrig gebliebenen Ostmitglieder sich gegenseitig mit Verratsvorwürfen überziehen und sich erfolgreich selbst zerlegen würden. Die verheerende Wirkung einer solchen Debatte für das Ansehen der Partei im Westen wollte man sich erst gar nicht vorstellen. Und plötzlich ging das Gespenst der PDS um. Es kam in der Form eines Vorabdrucks eines Interviews, das ich als Magdeburger Fraktionsvorsitzender von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dem Spiegel gegeben hatte. Darin tauchte das Wort von der Listenverbindung mit der PDS auf. Manchmal denke ich heute darüber nach, warum ich das eigentlich getan habe. War es mangelnde Professionalität, war es "Spiegeleitelkeit"? Sicher mag das alles auch eine Rolle gespielt haben. Aber der Hauptgrund war - vermutlich mehr unbewusst als bewusst, dass alle Welt unter Hohngelächter den Traum von gerechteren Zeiten, der die Chiffre Sozialismus trug, beerdigen wollte. Das Land war plötzlich voller Sieger. Vier Jahrzehnte hatten meine ostdeutschen Landsleute mit überwiegender Mehrheit untertänigst dem realexistierenden Sozialismus gehuldigt. Zwanzig Jahre hatten sich Teile der Grünen die DDR schön geredet. Aber nun wollten sie alle dem Sieger der Geschichte dienen. Sein wirtschaftlicher Name hieß soziale Marktwirtschaft, aber sein wahres Gesicht lauert hinter der freundlichen Maske. Später wird man es Globalisierung nennen, die Millionen von Menschen zum Freiwild für die Wirtschaft macht. Ich wollte gegen den Strom schwimmen und meinte, für die Aufrechterhaltung der linken Hoffnung im Osten auch mit der PDS zusammenarbeiten zu müssen. Und ich glaubte, dass wesentliche Teile der Westgrünen ihre linke Heimat nicht vergessen hatten.

Mein Vorschlag, wir sollten uns mit den Reformkräften der PDS als politische Kraft im Osten behaupten, war im Spiegel nachzulesen. Ich war der Meinung, dass es links von der SPD keinen Platz gäbe für zwei Parteien. In der Ausländer-, Innen- und Bildungspolitik wurden in Sachsen-Anhalt von der PDS durchaus grüne Positionen vertreten. Auch die Pazifismustrommel rührten sie. Man konnte dieses Phänomen nicht mit der Behauptung vom Tisch wischen, es handele sich um pure Heuchelei. Deshalb hatte ich von der Möglichkeit einer Listenverbindung gesprochen.

Die Aufregung in München war perfekt. Die Spitzenkandidatin der Grünen in Thüringen, heute in der CDU, schüttelte nur den Kopf. Wie konnte nur der Tschiche als Bürgerrechtler der ersten Stunde den Grünen in ihrem Wahlkampf das antun. Sofort wurde eine Resolution gegen meine Auffassung verfasst und verabschiedet. Fischer erklärte, meine Äußerungen seien die private Meinung eines verdienstvollen Bürgerrechtlers. Damit war ich gewaltig abgewatscht. Im Klartext hieß das: "Warum kann dieses Rindvieh nicht das Maul halten?" Auf besonderes große Empörung stieß meine Aussage, dass ich der Magdeburger PDS-Fraktionschefin näher stehe als dem grünen Bundestagsabgeordneten Werner Schulz aus Sachsen. Allerdings hatte er mit seinen schwarz-grünen Gedankenspielereien zur Landtagswahl im Freistaat sein Scherflein zur verlorenen Wahl beigetragen. Dabei setzte ich nicht etwa blindlings auf die PDS. Was mich besonders ärgerte war, dass ihre Mitglieder immer wieder der Versuchung unterlagen, sich die DDR schön zu reden. Die wirkliche Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte hatte noch lange nicht begonnen. Wenn man bedenkt, dass nach über 60 Jahren heute immer noch neue Aspekte in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zur Debatte stehen, muss klar sein, dass die Hauptarbeit über die DDR-Vergangenheit noch vor uns liegt. Und ich weiß schon, dass die PDS 1994 in jenen für sie erfolgreichen Tagen im Osten anfing, die Vergangenheit zu verdrängen.

Nun bekam auch noch Höppner sein Fett. In der Zeitung " Die Welt" hieß es am 14.09.1994: "Seine Unschuld ist Höppner, wenn es sie je gegeben hat, spätestens mit dem jüngsten Interview des Fraktionschef der Magdeburger Bündnisgrünen genommen worden. ... Regierungschef Höppner, der auch die nahtlose Übereinstimmung zwischen Sozialdemokraten und Grünen gerne als Besonderheit des Magdeburger Modells hervorhebt, muss sich fragen, wohin diese Grünen das Bündnis zerren wollen." Der Ministerpräsident hat mir nach meiner Erinnerung damals nicht ins Gewissen geredet. Denn die öffentlichen Aufregungen über meine Äußerung führten landes- und bundesweit zur Entlastung für die SPD. Sie befand sich im Windschatten dieser Ereignisse.

Nach dem Rüffel vom Bundesvorstand schloss sich der Landesvorstand an. Ein Mitglied des Landesvorstandes, der heute nicht mehr in der Partei ist, ließ verlauten, dass ich künftig solche Querschläger lassen sollte. Schließlich wurde ich noch auf dem Landesparteitag heftig gerügt. Entgegen der öffentlichen Meinung war ich in der Partei aber nie isoliert. Schließlich bin ich heute Ehrenvorsitzender des Landesverbandes. Was bleibt, ist eine gewisse Nachdenklichkeit. Unterdessen beginnt der politische Abstieg der PDS. Die Bündnisgrünen mausern sich zur öko-libertären Partei, in der die Linken nur noch das Feigenblatt aber keine Macht mehr haben. Offenbar schreitet die Spaltung der Gesellschaft unaufhörlich fort. Es wächst die Zahl derer, die im Dunklen sitzen. Der pure Pragmatismus wurstelt sich von Tag zu Tag. Einst sang die FDJ: "Du hast ja ein Ziel vor den Augen". Sie hat es längst verloren. Nun wird die Ziellosigkeit aller als modern verkauft.