Mit fünf Mark waren wir nicht mehr dabei

In den Jahren bis zu den Landtagswahlen 1998 gab es immer wieder einmal Schwierigkeiten. Der SPD-Landwirtschaftsminister musste gehen. Der Ministerpräsident übertrug Heidrun Heidecke dieses Ressort zusätzlich. Die Bauern probten den Aufstand. Sie blockierten Straßen. Eine Grüne in ihrem Ressort empfanden sie als Zumutung. Ökologie war für sie ein Reizwort. Aber die Wogen glätteten sich.

Der dritte Versuch, das Wirtschaftsministerium zu besetzen, bescherte uns den Treuhandmanager Dr. Klaus Schucht. Ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle. Ich mochte ihn sehr. Aber die Treuhandanstalt hatte bei der Privatisierung der DDR-Wirtschaft viele Pleiten geschoben. Wir hatten in der ersten Wahlperiode eine Broschüre über diese Einrichtung erstellen lassen mit dem Titel: Unter Geiern. Dort hatten wir mit der Berliner Einrichtung abgerechnet. Als Schucht kam, versuchte ich den Ball flach zu halten. Wir redeten davon, dass der neue Ressortchef zur tätigen Reue in das Land aufgebrochen sei. Vielleicht wollte er erreichen, dass das von ihm beförderte Projekt im Bereich Bitterfeld-Wolfen doch wieder auf die Beine kam. Ich denke schon, das dieser industrielle Kern durch seine Hilfe gerettet wurde. Mich betrachtete er mit mildem Spott. "Ach, Herr Tschiche", meinte er, "was heißt hier anthropogene Ursachen für eine Klimakatastrophe? Die nächste Eiszeit kommt bestimmt. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn wir ihre Ankunft mit dem CO2-Ausstoß ein wenig hinauszögern." Er hatte hochfliegende Pläne: Das internationales Flugdrehkreuz in der Altmark, der Planet Harz als Touristenwunder am Fuße des Brockens und die Lutherstadt-Wittenberg als neues geistiges Zentrum religiöser Betrachtungen der Welt, Amerikaner und Europäer sollten sich um die Weltethik von morgen kümmern. Er hat manches für das Land getan, aber seine großen Träume blieben auf der Strecke. Als ich ihn kritisierte, ließ er vermelden: Tschiche versteht überhaupt nichts von Wirtschaft. Einmal im Jahr kauft er einen Weihnachtsbaum, das ist seine ganze Berührung mit diesem Fachgebiet. Als ich ihm gestand, dass ich noch nicht einmal das tat, lächelte er freundlich und meinte: "Das habe ich mir gleich gedacht." Die Zeitung mit den großen Buchstaben nannte uns daraufhin das rot-grüne Hass-Paar. Sie hatte wieder einmal nichts verstanden. Das Klima war gespannt, aber nicht vergiftet.

Der so genannte Heide-Kompromiss hat uns viel Zeit gekostet. Am Ende der DDR waren alle für die zivile Nutzung des Truppenübungsplatzes in der Colbitz-Letzlinger Heide. Münch, MP Nr. 3, hatte verkündigt, er würde sich an die Spitze der Bewegung setzen. Der CDU-Innenminister Perschau rechnete vor, dass auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, im Osten viel mehr Flächen für Truppenübungsplatze verbraucht würden als im Westen. Das sei ungerecht. Die Initiative "OFFEN HEIDe" hatte sich gegründet. An jedem ersten Sonntag im Monat demonstrierten sie an unterschiedlichen Orten am Rande der Heide. 80.000 Unterschriften wurden in Bonn abgegeben. Darin forderten die Bürgerinnen und Bürger die zivile Nutzung. Aber es half alles nichts. Nachdem die Russen abgezogen waren, wollte die Bundeswehr in die Heide. Nach und nach bröckelte die Front der Gegner der militärischen Nutzung. Anfangs kamen schon einmal 1.000 Leute zur Demonstration, später wurden es immer weniger. Die Bündnisgrünen, die im Osten ihre Wurzeln in der Friedensbewegung hatten und von pazifistischem Gedankengut geprägt waren, betrachteten besorgt die Entwicklung in der Heide. Es wurde klar, dass die Bundeswehr das Gebiet nicht wieder hergeben würde. Das brachte uns als kleiner Partner der Landesregierung in Schwierigkeiten, weil die Bundesregierung dem Land ein Kompromiss anbot. Der südliche Teil sollte zivil genutzt werden und östlich der Bundesstraße 189 sollten Nutzungsmöglichkeiten erwogen werden. Aber vor 2006 sollte die Südheide nicht zur Verfügung stehen. Dafür wollte die Bundeswehr die Munitionsberäumung auf diesem Gebiet durchführen. Die SPD drängte, dass wir einem Vertrag zustimmten, der das festschrieb. Wenn sich das Land nicht darauf einließe, drohte der Bund, sollte die Landesregierung sehen, wie sie selber mit der Beräumung fertig werden würde. Lange Verhandlungszeiten, viel Tabakrauch und eine Menge Nerven hat uns dieser Konflikt gekostet. Schließlich stimmten wir zu. Wir sind auch nie ganz das Gefühl losgeworden, dass wir über den Tisch gezogen worden sind.

Und dann verloren wir zu allem Unglück auch noch unsere Justiz-Staatssekretärin, die mit der Ministerin über Kreuz lag. Partei und Fraktion fing an zu grummeln. Manche wollten aus der Koalition heraus, andere wollten Oppositions- und Regierungspartei zugleich sein. Das Politikmanagement wurde für mich zunehmend schwieriger. Wirtschaftliche Erfolge waren nicht zu vermelden. Als Schlusslicht aller Bundesländer marschierten wir der Entwicklung hinterher. Jede anderer Regierung hätte die selben Schwierigkeiten gehabt. Das Gerede der CDU, dass das finstere Dreigestirn von Magdeburg die Investoren vom Lande fernhielten, war pure Polemik. Die Wirtschaft investierte mit Wonne in China, im Land der roten Mandarinen. Sie kümmert die regierenden Kommunisten überhaupt nicht, wenn ein großer Markt in Aussicht steht. Die Politik hatte in Sachsen-Anhalt zwar die Krippen für die Investoren gefüllt, aber wenn sie nicht kamen, konnten wir nichts machen.

Und doch lief manches in den Jahren 1994 bis 1998 anders, als wenn die Konservativen an der Macht gewesen wären. Die humane Ausländerpolitik, die Schulreform, das Feststellenprogramm für Jugendmitarbeiter, die Schulsozialarbeit, die Herstellung von Windkrafträdern, die Förderung des ökologischen Landbaus - das alles sind Signale, dass diese Regierung in eine andere Richtung aufgebrochen ist. Aber vor allem hatte das viel gescholtene Tolerierungsmodell dazu beigetragen, dass eine innergesellschaftliche Aussöhnung möglich wurde und das ostdeutsche Beitrittsgebiet zu einem ernsthaften Partner mit eigenem Gesicht im gesamtdeutschen Konzert wurde.

Alle Erfolge haben uns nicht vor dem Rauswurf aus dem Landtag 1998 geschützt. Aber die Schwierigkeiten waren nicht die eigentliche Ursache für diese Niederlage. In den Voraussagen pendelten wir in der Regierungszeit immer um die 7%. Ein Bundesparteitag verursachte die Katastrophe. Im März 1998 fand er in Magdeburg statt. Er sollte uns den letzten Schwung geben, dass wir auch ganz sicher im Landesparlament landeten. Die Bundespartei wollte regieren. Im Bewusstsein der Bevölkerung war das möglich. Und nun stand im Programm, dass diese Partei 5 Mark für den Liter Benzin forderten. Nur diese Aussage erreichte die Leute und sie waren überzeugt, wenn die Grünen an die Macht kommen, wird das Auto fahren zu teuer. Wir dachten, wir könnten die ökologische Steuerreform und den langfristigen Abschied von der Ressourcenverschwendung der Bevölkerung klar machen. Das war unser Irrtum. Ich halte nach wie vor das strategische Ziel für richtig, das taktische Vorgehen war falsch. Wir sind gewarnt worden, aber wir haben nichts unternommen, um die Zahl aus dem Programm zu bekommen. Unser Vorgehen zeugte davon, dass wir die gesellschaftliche Wirklichkeit arrogant missachtet hatten. Nach acht Jahren flogen wir aus dem Parlament. Dafür kam die DVU mit 13%. Das war bitter, aber real.